Inkassounternehmen
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Als Inkassounternehmen bezeichnet man ein Dienstleistungsunternehmen, das gegen Entgelt die Beitreibung von Forderungen seiner Kunden gegen deren Schuldner, das so genannte Inkasso, übernimmt. Zu diesem Zweck wird in der Regel ein Geschäftsbesorgungsvertrag zwischen dem Unternehmen und dem Kunden abgeschlossen.
Arten des Inkassos
Die einzuziehenden Forderungen können im Eigentum des Kunden verbleiben oder von diesem an das Inkassounternehmen abgetreten werden (sog. fiduziarische Abtretung bzw. Inkassozession). Im letzteren Fall wird das Inkassounternehmen vorübergehend Inhaber der Forderung, hat diese aber nach erfolgter Einziehung wieder an den Kunden herauszugeben.
Keinen Bezug zu Inkassodienstleistungen hat das so genannte Factoring, bei dem ein Unternehmer zum Zwecke der Geldbeschaffung künftige Forderungen an einen Factor (oftmals Banken) verkauft. Wenn die Forderung entstanden ist, erhält der Gläubiger als Kaufpreis den Rechnungswert abzüglich einer Provision des Factors.
Neben gewerblichen Unternehmen betreiben auch spezialisierte Rechtsanwaltskanzleien das Geschäft der Forderungseinziehung. Darüber hinaus nehmen z.B. gerichtlich bestellte Personen wie Insolvenzverwalter im Rahmen ihrer Befugnisse Inkassotätigkeiten wahr, um durch die Realisierung fälliger Forderungen zahlungsunfähige Unternehmen vor der Auflösung zu bewahren.
Aufgaben und Geschäftsgegenstand von Inkassounternehmen Je nach Umfang der Beauftragung durch den Kunden (Gläubiger) erbringen Inkassounternehmen u.a. folgende Finanzdienstleistungen:
- Beratung von Gläubigern zu den Möglichkeiten des Forderungseinzugs
- Bonitätsprüfung, d.h. aktuelle oder potenzielle Schuldner werden auf ihre Kreditwürdigkeit überprüft, und zwar in persönlicher (Zuverlässigkeit, Zahlungswilligkeit) und wirtschaftlicher Hinsicht (Zahlungsfähigkeit). Dies geschieht in der Regel durch Scoring- oder Ratingverfahren unter Einbeziehung von Auskunfteien.
- außergerichtliches Inkasso (Einziehung nicht ausgeklagter, unbestrittener Forderungen durch zielführende Kommunikation mit dem Schuldner, die in der Zahlung gipfelt (vollständig, teilweise oder in Raten nach vergleichsweiser Einigung))
- Erwirken von Titeln (Vollstreckungsbescheid, Urteil, gerichtlicher Vergleich etc., erforderlichenfalls unter Einschaltung von Rechtsanwälten) und nachfolgende Durchführung der Zwangsvollstreckung
- Systematische Überwachung und Nachverfolgung ausgeklagter und vorübergehend uneinbringlicher Forderungen
- Anmeldung von Forderungen im Insolvenzverfahren
Moderne Inkassounternehmen bieten als besonders kundenfreundliche, rationelle und effektive Form der Auftragsannahme und –abwicklung das Online-Inkasso an, mit dem das gesamte Forderungsmanagement vom Mahnwesen bis zur Titulierung und Nachverfolgung mittels spezieller Schnittstellen zur Software-Umgebung ihrer Kunden web-basiert umgesetzt werden kann.
Viele Großgläubiger, vornehmlich Banken, lagern ihr Forderungsmanagement an Inkassounternehmen aus (sogenanntes Outsourcing). Dies bietet den neben der Arbeitsentlastung und der Freisetzung personeller Ressourcen den Vorteil, dass die externen Kosten des Inkassounternehmens im Gegensatz zur internen Abwicklung auf den Schuldner abgewälzt werden können.
Geschichte des deutschen Inkassogewerbes
Die Keimzelle des deutschen Inkassogewerbes entstand in den so genannten „Gründerjahren“ nach der Deutschen Revolution 1848/49, die infolge epochaler Erfindungen wie der Eisenbahn und ihrer Schubwirkung für die industrielle Entwicklung sowie durch den Geldsegen der französischen Reparationszahlungen nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 im Zeichen eines rasanten wirtschaftlichen Aufschwungs standen. Eine Unzahl von Firmengründern, unter ihnen viele Glücksritter und Spekulanten, versuchten von diesem Boom zu profitieren, endeten aber vielfach im Konkurs.
Um existenzgefährdende Verluste im Geschäftsverkehr und bei der Vergabe von Darlehen abzuwenden, versuchten seriöse Handwerker, Fabrikanten und Kaufleute, sich durch Gründung auf den Kreditschutz spezialisierter Unternehmen abzusichern. Während bei den namhaftesten Pionieren der neuen Branche wie Schimmelpfeng (1872), Creditreform (1879) und Bürgel (1885) zunächst die Erteilung von Wirtschaftsauskünften im Vordergrund stand, verlagerte sich nach dem Ende des Ersten Weltkrieges der Schwerpunkt dieser Dienstleistungen allmählich auf die Einziehung von Außenständen im Auftrag von Gläubigern. Es entstanden die ersten „reinen“ Inkassounternehmen, die sich ausschließlich mit der Beitreibung ausgeklagter Forderungen befassten.
Das nach dem Ende des zweiten Weltkriegs einsetzende deutsche „Wirtschaftswunder“ bescherte auch den Inkassounternehmen eine neue Blütezeit. Im Zuge der Rezession Ende der 1960er Jahre und der in der Folgezeit stetig sinkenden Zahlungsmoral wurde diesen zunehmend auch die Einziehung nicht ausgeklagter Forderungen übertragen. In der jüngsten Zeit gewinnen Inkassounternehmen gegenüber langwieriger und oftmals fruchtloser gerichtlicher Forderungsverfolgung immer mehr an Boden; dies gilt in besonderem Maße für innovative Dienstleister, welche die Recherche- und Vernetzungspotenziale der Informations- und Kommunikationstechnologie für ihre Kunden effektiv und kostengünstig zu nutzen wissen oder sogar eine Komplettabwicklung über das Internet anbieten.
Volks- und betriebswirtschaftlicher Stellenwert
Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung des deutschen Inkassogewerbes lässt sich anhand der hochgerechneten Jahresabschlüsse der Deutschen Bundesbank ermessen. Danach belaufen sich die Forderungen deutscher Unternehmen aus Lieferung und Leistung seit 2012 auf über 400 Milliarden Euro, was über 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Diesen stehen Verbindlichkeiten aus Lieferung und Leistung in Höhe von über 310 Milliarden Euro gegenüber. Eine derartig hohe Lieferantenkreditvergabe, die darauf beruht, dass der ganz überwiegende Teil der Einkäufe von Unternehmen auf Zahlungsziel erfolgt, bedarf eines professionellen und nachhaltigen Forderungsmanagements. Auch die konstant hohe Zahl von Unternehmens- und Verbraucherinsolvenzen (zusammen monatlich über 10.000!) verdeutlicht die Dringlichkeit frühzeitiger Liquidierung von Forderungen. Hierbei kommt Inkassounternehmen, die über spezielles Know-how beim Einzug von Forderungen aus notleidenden Krediten verfügen, eine herausragende Bedeutung zu. Aktuellen Umfragen zufolge bedienen sich über 80 Prozent der deutschen Unternehmen bei der Verfolgung ihrer Forderungen der Dienstleistungen von Inkassounternehmen. Dementsprechend hielt die Inkassowirtschaft mit ihren rund 15.000 Beschäftigten nach Angaben des Bundesverbandes Deutscher Inkassounternehmen e.V. (BDIU) im Jahre 2012 ein Forderungsvolumen von über 50 Milliarden Euro. Insgesamt erbringen derzeit in Deutschland über 750 Firmen Inkassodienstleistungen. Der Kreis der Inhaber einer Inkassoerlaubnis (s.u.), zu denen neben Unternehmen auch Einzelpersonen zählen, ist mit aktuell über 2.000 Registrierungen noch viel weiter gezogen.
Als Experten für zahlungsorientierte Kommunikation mit Schuldnern erzielen Inkassounternehmen vier Fünftel ihrer Zahlungserfolge ohne Inanspruchnahme von Gerichten und ersparen Gläubigern damit in hohem Maße Zeit und Kosten. Die durchschnittliche Forderungshöhe, die Inkassounternehmen für ihre Auftraggeber einziehen, bewegt sich deutlich über 600 Euro.
Rechtsgrundlagen für Inkassodienstleistungen in Deutschland Seit dem 01.07.2008 bildet das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) die rechtliche Legitimationsgrundlage der Inkassounternehmen. Dieses enthält in § 2 Abs. 2 S. 1 eine Legaldefinition der Inkassodienstleistung als „[…]Einziehung fremder oder zum Zweck der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretener Forderungen, wenn die Forderungseinziehung als eigenständiges Geschäft betrieben wird“. Die Ausübung von Inkassodienstleistungen ist erlaubnispflichtig und bedarf einer Eintragung ins Rechtsdienstleistungsregister (§ 10 Abs.1 Nr. 1 in Verbindung mit § 13 Abs. 1 RDG). Hierfür sind neben besonderer theoretischer und praktischer Sachkunde (Expertise im Zivil-, Zivilprozess- und Insolvenzrecht, Nachweis mindestens zweijähriger Praxis oder beruflicher Ausbildung im deutschen Inkassowesen) nach § 12 Abs. 1 S. 1 RDG persönliche Eignung und Zuverlässigkeit erforderlich.
Im Unterschied zu den früheren Einschränkungen durch das Rechtsberatungsgesetz dürfen Inkassounternehmen seit Einführung des RDG ohne Einschaltung eines Rechtsanwalts
gerichtliche Mahnverfahren bis zur Abgabe an das Streitgericht durchführen und für den Gläubiger Vollstreckungsanträge (etwa den Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses für Lohnpfändungen) sowie Anträge auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung oder auf Erlass eines Haftbefehls gegen den Schuldner stellen (§ 79 Abs. 2 Nr. 4 ZPO). Ihnen ist damit die Möglichkeit eröffnet, alle Stadien der Beitreibung selbstständig abzuwickeln, solange kein gerichtliches Klageverfahren über die Forderung geführt werden muss.
Seriositätsmerkmale
Bei der Auswahl oder Überprüfung von Inkassounternehmen können beispielhaft folgende Umstände als Anhaltspunkte für die Seriosität dienen:
- Mitgliedschaft in einem namhaften Branchenverband wie dem BDIU (Deutschland), BFIF (Deutschland), BDR (Deutschland), IVÖ (Österreich), VSI (Schweiz), VGIS (Schweiz)
- Einhaltung der nationalen Datenschutzbestimmungen, z.B. keine Kontaktaufnahme ohne nachvollziehbare Legitimation und keine unrechtmäßige Weitergabe von Daten des Schuldners, schriftliche Offenlegung gespeicherter Daten auf Anfrage
- interaktives, auf Herbeiführung einer einvernehmlichen Lösung gerichtetes Auftreten
- sachliche Aufklärung des Schuldners über rechtliche Zusammenhänge ihres Tätigwerdens und über die Folgen weiterer Säumnis
- keine Häufung kritischer & unkommentierter Kritiken im Internet
- keine Verfolgung dubioser Forderungen mit fragwürdiger rechtlicher und/oder sachlicher Begründung (Abofallen, Gewinnspiele, versteckte Gebührenpflichten in Geschäftsbedingungen oder Internetseiten)
In Deutschland sollte man darüber hinaus auf folgende Merkmale achten:
- klar aufgeschlüsselte, die zulässigen Vergütungen nach dem RVG, RDG & GguG nicht überschreitende Inkassovergütungen.
- Eintragung im Rechtsdienstleistungsregister (s.o.)
Quellen & externe Links: